Alba will es wirklich. Wenn sie „In- Inde- Indepedència!“ ruft, dann überschlägt sich ihre Stimme, sie kneift die Augen zusammen und grinst gleichzeitig. Heute um 17:14 Uhr greift sie außerdem die Hände rechts und links neben ihr und drückt sie ganz fest. Sie klinkt sich in die Menschenkette ein und ist mit ihrem Ruf nicht allein: Sie alle wollen die Unabhängigkeit Kataloniens.
Barcelona, Plaça de Sants, am 11. September 2013. Schon seit kurz nach 16 Uhr ist Alba mit ihrer Familie hier, bestens ausgestattet mit gelben T-Shirts und Estelada-Flaggen als Umhang. Offiziell haben sie sich nicht für die Via Catalana angemeldet, aber da die Menschenkette quasi vor ihrer Haustür vorbeiführt, mischen sie sich einfach dazwischen. Tausende Barceloner haben sich das Gleiche gedacht und bevölkern nun die Straßen. Immer wieder stimmen sie die katalanische Hymne an, rufen „Independència“ oder winken in Fernsehkameras. „Wir wollen ein Referendum, damit Katalonien ein eigener Staat in der EU werden kann“, sagt Alba.
Die 24-Jährige bezeichnet sich selbst nicht als Spanierin, sondern als Katalanin. Wenn die spanische Fußball-Nationalmannschaft spielt, ist sie grundsätzlich für den Gegner und zuhause spricht sie nur katalanisch. „Ich möchte mehr Respekt für meine Nationalität“, sagt sie. Immerhin hat sich das katalanische Parlament bereits für souverän erklärt und ein Referendum für die Unabhängigkeit 2014 angekündigt. Da die spanische Verfassung ein solches Referendum allerdings nicht zulässt, musste Präsident Mas vor kurzem zugeben, dass es vielleicht auch bis 2016 dauern könnte. Viele Katalanen sind empört: „Dann muss die Verfassung eben geändert werden“, meint Alba. Sie hat Internationale Beziehungen studiert und sieht Katalonien, Spaniens wirtschaftlich stärkste Region, als stark genug an, es auch allein zu schaffen. Die Via Catalana soll zusätzlichen Druck auf den spanischen Staat ausüben.
Pünktlich um 17:14 Uhr ist es dann soweit: In Lleida läuten die Kirchenglocken und 1,6 Millionen Menschen fassen sich an den Händen und bilden auf 400 km eine Kette vom Norden bis in den tiefen Süden Kataloniens. Sie erstrahlt in gelb-rot und soll die Botschaft in die ganze Welt hinaus tragen: „Wir sind eine Nation, wir wollen unabhängig werden.“
Via Catalana in Barcelona (11.09.2013, 17:14) from Frau Barcelona on Vimeo.
Sogar die Hunde tragen gelb-rot gestreifte Halstücher. Viele Familien, Jung und Alt demonstrieren hier friedlich miteinander ihr Nationalgefühl. Am 11. September 1714 musste Barcelona die Unabhängigkeit abgeben, seitdem kämpfen die Katalanen darum, sie wieder zurück zu erlangen.
Eigentlich soll die Menschenkette 45 Minuten lang gehalten werden. Da der Helikopter mit der Fernsehkamera und auch die offizielle Fotografin der Organisatoren der Kette bereits vorbei gekommen sind, löst sich die Via Catalana auf der Plaça de Sants allerdings schon nach 15 Minuten wieder langsam auf. Über SMS und Telefon versuchen Alba und ihre Familie herauszubekommen, wie es dem Rest der Verwandtschaft ergangen ist. Sie alle haben sich irgendwo mit in die Kette geklinkt, ein Freund fuhr sogar extra bis ins 180 km entfernte Amposta, um dort in einem Abschnitt der Via Catalana zu „helfen“, der eher knapp bevölkert war.
Am Ende stehen sie stolz da: „Wahnsinn, dass wir es geschafft haben!“ Die hohe Teilnehmerzahl hat selbst die Organisatoren überrascht. In den nächsten Stunden sollen nun tausende Fotos online zusammengetragen und die Daten genau ausgewertet werden. Die längste Menschenkette aller Zeiten wird es allerdings höchstwahrscheinlich doch nicht sein. Dieser Rekord liegt weiter in Händen der „Baltischen Kette“ aus dem Jahr 1989. Für Alba war es heute trotzdem ein einzigartiges Erlebnis: „Wir gehen jedes Jahr zur Diada auf die Straße. Aber noch nie war es so entspannt und eindrucksvoll zugleich.“